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Mittwoch, 3. April 2013

Ist die Zeit der Innenstädte vorbei?


Das Hertiegebäude in der Innenstadt von Delmenhorst 
Ist die Zeit der Innenstädte vorbei?

Nicht nur in Delmenhorst wird seit Jahren über den fortwährenden Rückgang der Attraktivität der Innenstadt für die Bürger diskutiert, nein, dieses Problem finden wir eigentlich in allen mittelgroßen deutschen Städten [1]. Immer weniger inhabergeführter Fachhandel und fast nur noch große Ketten dominieren inzwischen die Innenstädte. Vielerorts werden große Einkaufszentren als Allheilmittel zur Belebung des Zentrums errichtet, häufig allerdings tragen diese zur Austrocknung des umliegenden Gewerbes bei [2]. Bedroht werden die Innenstädte durch mehrere Faktoren:

1. Die Immobilieneigentümer verlangen zu hohe Mieten.  
Bei qm-Preisen von ca. 14-20 Euro [3] kostet schon ein normal großes Geschäft (250-300qm) schnell über 5.000 Euro Miete im Monat. Diese können gerade für Existenzgründer im Einzelhandel kaum erwirtschaftet  werden. Nur große Ketten können sich diese Mieten leisten. Da der Leerstand von gewerblich genutzten Immobilien zur Zeit noch als Steuersparmodell genutzt werden kann, besteht auch kaum Interesse bei den Vermietern, die Miete zu senken.

2. Die Läden auf der "grünen Wiese" sind starke Konkurrenz.
Ein Kardinalsfehler der Städteplaner der letzten Jahrzehnte, gerade in  Delmenhorst, war die Genehmigung von zu vielen Einkaufszentren auf der  "grünen Wiese". Hier besteht ein eindeutiges Überangebot an Verkaufskapazitäten. Dies hat dazu geführt, dass Delmenhorst inzwischen die höchste Verkaufsfläche pro Einwohner in Deutschland hat. Diese Einkaufszentren an der Peripherie decken hervorragend den täglichen Bedarf der Einwohner und der umliegenden Gemeinden. Diese Zentren sind gut mit dem Auto zu erreichen und bieten große Mengen an kostenlosen Parkplätzen in direkter Nähe an. Gerade für die Versorgung mit Lebensmitteln, aber auch mit hochwertigen Gütern, wie z.B. Unterhaltungselektronik oder Möbel, ist dies ideal. 
Die Parkplatzsituation in der Innenstadt hingegen ist geprägt von kostenpflichtigen Angeboten, die keine direkte Anbindung an die Geschäfte aufweisen.
3. Amazon hat alles - oder die Bequemlichkeit siegt.
Der größte Konkurrent des Einzelhandels ist allerdings das Internet und hier insbesondere Amazon oder auch (noch) eBay. Immer mehr Güter des täglichen Bedarfs, längst nicht nur Bücher, sondern auch hochwertige Lebensmittel, Körperpflegeprodukte oder elektronische Geräte und sogar Gartenbedarf kann man teilweise wesentlich günstiger im Internet beziehen als im Fachhandel. Die Auswahl ist riesengroß, und fast alle Artikel sind innerhalb von 1-3 Tagen frei Haus lieferbar. Dieser Umstand hat schon einigen alteingesessenen Fachhändlern das Genick gebrochen. Hier ist keine Trendwende zu erwarten, eher wird das Umsatzvolumen des Handels im Internet weiter zunehmen. Langfristig werden auch die großen Zentren am Rande der Stadt hiervon beeinflusst werden. 

Eine gewagte These
Die Zeit der vielen Geschäfte in den Innenstädten allgemein und in Delmenhorst speziell ist vorbei. Daran wird langfristig auch eine (wünschenswerte) Re-Vitalisierung des Hertiekomplexes nichts ändern. Im Gegenteil: Die Mieten dürften durch eine erfolgreiche Neu-Eröffnung eher steigen als sinken. Wir sollten uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir mittel- bis langfristig kein im bisherigen Sinne florierendes  Stadtzentrum mehr bekommen werden. Die Lebenswirklichkeit der Einwohner unserer Stadt hat sich in den letzten 20 Jahren entscheidend verändert, und durch den immer stärker werdenden Einfluss des Internets auf alle Lebensbereiche wird dieser Trend eher noch zunehmen.

Was machen wir also mit dem Stadtzentrum?
Natürlich sind den Kommunalpolitikern hier zum größten Teil die Hände gebunden.  Die Immobilien in der Innenstadt sind zum allergrößten Teil in privater Hand. Aber zu wissen, was nicht funktionieren wird und was man tun könnte, ist häufig der erste Schritt zu langfristigen Veränderungen. Zum Beispiel gab es "früher" in der Delmenhorster Innenstadt eine funktionierende Kneipen- und Discoszene [4] . Heute ist hiervon kaum noch etwas übrig geblieben. Hier könnte man gut ansetzen und probieren, wieder eine "Szene" zu etablieren. Eine schöne Meile mit Cafés, Restaurants, Kneipen und der einen oder anderen Disco würde viele Menschen in Delmenhorst ansprechen.

Ein weiterer Ansatzpunkt wäre die Umgestaltung von Geschäfts- zu Wohnraum, wie es gerade im alten Selvegebäude geschehen ist. Durch die Erstellung von altersgerechten  Wohnungen in zentraler Lage könnten die heute teilweise seit Jahren leerstehenden Gebäude wieder einer vernünftigen Nutzung zugeführt werden. Und wenn in der Innenstadt wieder mehr gewohnt wird, lohnt sich auch die Eröffnung von Lebensmittelgeschäften wieder.



[1] - Quellen u.a.
http://www.merkur-online.de/lokales/freising/freising/ideen-innenstadt-belebung-gesucht-2385841.html
http://www.schwaebische.de/region/sigmaringen-tuttlingen/pfullendorf/stadtnachrichten-pfullendorf_artikel,-In-vier-Schritten-soll-die-Innenstadt-belebt-werden-_arid,5404668.html
http://www.derwesten.de/staedte/velbert/eine-belebung-der-innenstadt-id7434322.html
http://www.derwesten.de/staedte/muelheim/belebung-der-innenstadt-durch-kostenlose-parkplaetze-id5133339.html

[2] - Quellen u.a.
http://www.bo.de/Lokales/Offenburg/Einkaufszentrum-Bereicherung-oder-Bedrohung
http://de.wikipedia.org/wiki/Schlossh%C3%B6fe
http://www.rp-online.de/niederrhein-sued/nettetal/nachrichten/die-ludbach-passage-eine-bedrohung-1.3062839
http://www.dortmundecho.org/2012/10/thier-galerie-bedroht-innerstadtischen-einzelhandel/

[3]
http://www.immonet.de/angebot/20471054

[4]
https://www.facebook.com/groups/534378903244404/628436520505308/?notif_t=group_comment_reply

3 Kommentare:

  1. Also das ist doch auch eine Bundespolitische Sache. z.B. könnte man die großen Supermärkte und Kaufhäuser mit einer extra steuer belegen. Die Einnahmen aus dieser extra steuer werden dann verwendet um die kleineren Geschäfte zu subventionieren.

    Das würde die Innenstädte beleben, Arbeitsplätze schaffen und der sozialen Gerechtigkeit zugute kommen.

    Ansonsten entwickelt sich der Kapitalismus dahin das am Ende nur noch einige Megakonzerne den Handel bestimmen. Das wäre eine Katastrophe, u.a da diese Konzerne durch ihre Marktmacht eben auch die Produzenten erpressen können.

    Sowas darf man nicht nur den "freien Märkten" überlassen, da ist massive staatliche Planung erforderlich um die Innenstädte zu schützen.

    Leider hat keine Partei den Mut dazu das mal wirklich konsequent anzugehen.

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  2. Ich bin mir sicher ob eine neue Steuer oder eine Steuererhöhung tatsächlich die Antwort auf Fragen des grundlegenden Wandels der Gesellschaft durch das Internet und den demographischen Wandel ist.

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  3. Welchen Wert die Innenstadt für sie hat, haben die mündigen Bürger selber entschieden, indem Sie ihr Geld lieber Anderenorts ausgegeben haben. Die "großen Supermärkte" und Kaufhäuser "auf der grünen Wiese" haben attraktivere Anreize gegeben, und die Kunden haben entsprechend darauf reagiert. Den großen Geschäften und der Politik die alleinige Schuld am Verfall der Innenstädte zu geben ist da natürlich die bequemere Lösung. Steuererhöhungen ändern nichts am besagten gesellschaftlichen Wandel. Alternative Ideen für eine attraktive Innenstadt sind da gefragt.

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